Rothenburg ob der Tauber - wo mittelalterliche Küche auf moderne Innovation trifft
Rothenburg ob der Tauber, die besterhaltene mittelalterliche Stadt Deutschlands, ist ein lebendiges Museum, das seine Geschichte nicht nur in Stein und Balken bewahrt, sondern auch in der Küche. Hier erleben Besucher eine einzigartige kulinarische Zeitreise, bei der historische Rezepte mit modernen Zubereitungsmethoden zu neuem Leben erweckt werden.
Eine Küche aus dem Mittelalter
Die Küche Rothenburgs hat ihre Wurzeln im 13. Jahrhundert, als die Stadt als wichtiger Handelsplatz an der Romantischen Straße florierte. Die mittelalterlichen Kochbücher und Zunftordnungen, die in den Stadtarchiven aufbewahrt werden, offenbaren eine erstaunlich vielfältige Küche, die weit über das stereotype Bild von Brot und Brei hinausgeht.
Kaufleute brachten Gewürze aus fernen Ländern mit, Handwerker entwickelten raffinierte Konservierungstechniken, und die reichen Patrizier pflegten eine Festkultur, die sich in aufwendigen Rezepten niederschlug. Diese historischen Schätze bilden heute die Grundlage für eine Renaissance der mittelalterlichen Küche.
Historische Rezepte, moderne Interpretation
Das Restaurant "Zur Höll", das in einem der ältesten Gebäude der Stadt untergebracht ist, hat sich der Aufgabe verschrieben, mittelalterliche Rezepte für den modernen Gaumen zu interpretieren. Küchenchef Johann Steinmetz arbeitet eng mit Historikern zusammen, um authentische Rezepte zu rekonstruieren und zeitgemäß zuzubereiten.
Ein Beispiel ist sein "Mittelalterlicher Hirschbraten nach Art des 14. Jahrhunderts", bei dem er das ursprüngliche Rezept mit Wacholder, Zimt und Honig verwendet, aber moderne Garmethoden wie Sous-vide-Technik einsetzt, um die Aromen zu intensivieren und das Fleisch perfekt zart zu garen.
Die Zunft der Lebkuchen-Bäcker
Rothenburg ist seit Jahrhunderten berühmt für seine Lebkuchen. Die Tradition geht zurück auf das 14. Jahrhundert, als die Stadt ein wichtiges Zentrum für den Gewürzhandel war. Die originalen Rezepte der Lebkuchen-Zunft werden bis heute streng gehütet und in der Bäckerei "Diehl" seit 1650 unverändert angewendet.
Moderne Lebkuchen-Künstler wie Meister Albrecht Dürer (nicht zu verwechseln mit dem Maler) experimentieren heute mit neuen Geschmacksrichtungen, bleiben aber den traditionellen Herstellungsmethoden treu. Seine "Trüffel-Lebkuchen mit Frankenwein" sind eine moderne Hommage an die mittelalterliche Süßwarenkunst.
Frankenwein in historischen Kellern
Die Weinkultur Rothenburgs reicht bis ins Mittelalter zurück. Die Stadt besaß einst über 40 Weinkeller, von denen viele heute noch existieren und als Restaurants oder Vinotheken genutzt werden. Der "Ratskeller" oder die "Eisenhut-Weinstube" bieten nicht nur ausgezeichnete fränkische Weine, sondern auch eine Atmosphäre, die Gäste direkt ins Mittelalter versetzt.
Besonders bemerkenswert ist der Umgang mit historischen Weinrezepten. Der "Hypocras", ein gewürzter Wein, der im Mittelalter als Heilmittel und Aphrodisiakum galt, wird heute in der "Weinstube am Plönlein" nach originalem Rezept mit Zimt, Ingwer und Nelken hergestellt.
Mittelalterliche Kochkurse und Erlebnistouren
Das "Mittelalterliche Kochstudio" bietet Besuchern die Möglichkeit, selbst in die Geheimnisse der historischen Küche einzutauchen. Unter Anleitung von Köchin Barbara Mittelalter (ein durchaus passender Name!) lernen Teilnehmer, wie man ohne moderne Hilfsmittel kocht und dabei erstaunlich raffinierte Gerichte zubereitet.
Die Kurse umfassen das Kochen über offenem Feuer, das Mahlen von Getreide mit Handmühlen und das Herstellen von Gewürzmischungen nach historischen Rezepten. Besonders beliebt ist der Kurs "Kochen wie die Patrizier", bei dem Festmähler der reichen Kaufmannsfamilien nachgekocht werden.
Streetfood des Mittelalters
Nicht nur die gehobene Küche wird in Rothenburg gepflegt. Auch das mittelalterliche "Streetfood" erlebt eine Renaissance. Auf dem Marktplatz bieten Stände "Fladenbrot mit Kräutern" oder "Geröstete Nüsse mit Honig" an - Gerichte, die schon vor 700 Jahren Handwerker und Händler auf die Schnelle sättigten.
Der Stand "Mittelalterliche Köstlichkeiten" von Familie Weber hat sogar einen mobilen Holzofen konstruiert, um authentisches Brot nach historischen Rezepten zu backen. Das "Pilgerbrot", ursprünglich für Reisende auf dem Jakobsweg entwickelt, ist heute ein beliebter Snack für Touristen.
Klosterküche neu entdeckt
Die Küche der mittelalterlichen Klöster in und um Rothenburg bietet eine weitere Inspirationsquelle. Das Restaurant "Klosterstube" im ehemaligen Dominikanerinnen-Kloster serviert Gerichte nach Rezepten der Nonnen, die durch ihre einfache Raffinesse bestechen.
Besonders die vegetarischen Gerichte der Klosterküche haben moderne Relevanz gefunden. "Kräutersuppe nach Art der heiligen Hildegard" oder "Gerstenbrei mit Wildhonig" entsprechen dem heutigen Trend zu bewusster, gesunder Ernährung.
Historische Tischkultur erleben
Mehrere Restaurants in Rothenburg bieten "Mittelalterliche Tafelrunden" an, bei denen nicht nur das Essen, sondern auch die Tischsitten des Mittelalters zelebriert werden. Gäste essen mit den Fingern, trinken aus Tonkrügen und werden von Spielleuten unterhalten.
Das "Burghotel Reichs-Küchenmeister" geht noch einen Schritt weiter und bietet komplette mittelalterliche Festmähler mit verschiedenen Gängen, die über mehrere Stunden dauern und ein authentisches Bild mittelalterlicher Festkultur vermitteln.
Moderne Technik trifft historisches Wissen
Faszinierend ist, wie moderne Küchengeräte eingesetzt werden, um historische Kochtechniken zu perfektionieren. Der Einsatz von Temperaturfühlern hilft dabei, die optimale Gartemperatur für mittelalterliche Braten zu ermitteln, während Vakuumgarer die Aromen historischer Gewürzmischungen intensivieren.
Das "Labor für historische Küche" an der Universität Würzburg arbeitet eng mit Rothenburger Restaurants zusammen, um mittelalterliche Rezepte wissenschaftlich zu rekonstruieren und für die moderne Küche anzupassen.
Nachhaltigkeit nach mittelalterlichem Vorbild
Interessant ist auch, wie nachhaltig die mittelalterliche Küche war. Nichts wurde verschwendet, alles wurde verwertet. Diese Prinzipien werden heute unter dem Begriff "Zero Waste" wieder modern. Rothenburger Restaurants wie "Das Goldene Lamm" haben diese Philosophie übernommen und bereiten Gerichte zu, bei denen alle Teile der verwendeten Zutaten verwertet werden.
Fazit: Eine lebendige Vergangenheit
Rothenburg ob der Tauber zeigt eindrucksvoll, dass Geschichte nicht nur in Museen gehört, sondern auch auf den Teller. Die Stadt hat es geschafft, ihre mittelalterliche Küche nicht als Museumsstück zu konservieren, sondern als lebendige Tradition weiterzuentwickeln.
Die Verbindung von historischem Wissen und modernen Kochtechniken, von authentischen Rezepten und zeitgemäßer Präsentation macht Rothenburg zu einem einzigartigen kulinarischen Reiseziel. Hier können Besucher nicht nur deutsche Geschichte erleben, sondern auch schmecken - ein Genuss für alle Sinne, der zeigt, wie reich und vielfältig die deutsche Küche schon vor Jahrhunderten war.